Im Mittelpunkt dieses Panoramas sieht man die alten Gegner in neuen Kleidern: Russland, China und die Vereinigten Staaten von Amerika. – Eric Gujer schildert packend den geo-ideologischen Wettstreit dieser Drei, quasi auf Distanz.
Das Studium des Artikels weckt Gefühle von Bedrohungen, ganz nahe, in der eigenen Umgebung. Welche Auswirkungen könnte der geo-ideologische Wettstreit auf die Schweiz haben? – Die Arbeitsgruppe «Strategie» der Vereinigung «Pro Militia» ging dieser Frage nach. Sie kam dabei zu den folgenden Resultaten.
Die Ära der multilateralen Konfliktlösungen, wie sie nach 1989 verheissungsvoll startete, scheint tatsächlich zu Ende zu gehen. Machtpolitische Interessen und Nationalismus gestalten die internationale Politik wieder bedeutend stärker als unmittelbar nach dem «Mauerfall». Heute treten hybride (uneindeutige) Konfliktformen in den Vordergrund. Dabei vermischen sich Methoden des Wirtschafts-, des Informations- und des Cyberkrieges mit staatlicher und nichtstaatlicher Konfliktführung. Eine klare Grenze zwischen äusserer und innerer Sicherheit, aber auch zwischen Frieden und Krieg, gibt es je länger je weniger. In hybriden Auseinandersetzungen geht es darum, Ziele möglichst ohne offenen Einsatz militärischer Mittel zu erreichen und durch eine indirekte oder versteckte Konfliktführung den angegriffenen Staat oder die angegriffene Gesellschaft zu destabilisieren und ihre Handlungsfreiheit möglichst zu beeinträchtigen.
Die Führung der Schweiz muss sich auf diese neuen Konfliktformen ausrichten und ihr Machtinstrument, die Schweizer Armee, entsprechend weiterentwickeln. Das ist umso dringender, als die Schweizer Armee über eine Wehrpflicht und als Milizarmee mit jeweils kurzen Dienstzeiten organisiert ist. Schritte für die Anpassung und Weiterentwicklung einer Milizarmee benötigen deshalb grundsätzlich mehr Zeit als in einer Berufsarmee.
Bei der Analyse der Bedrohungen für die Schweiz stösst man auf drei Schlüsselfragen.
Die erste Frage:
«Wie wird die Schweiz in Krisen- und Notlagen sowie im Verteidigungsfall geführt?»
Die Handlungsfreiheit der Schweiz kann in einem Krisen- oder Verteidigungsfall nur mit einem permanenten Bundesführungsstab (BFST) nachhaltig sichergestellt werden. Der Leistungsauftrag eines möglichen BFST müsste in enger Absprache mit den Kantonen entwickelt werden. Beim Bundesführungsstab geht es weder um die Übernahme von Kompetenzen der Kantone, noch um einen professionellen, voll ausgebauten Stab, sondern um eine Grundstruktur, welche je nach Problemstellung aufgebaut werden kann. Definiert sein müssen aber der Stabschef, der Nachrichtendienst und die Führungsunterstützung. Der Rest sind «Steckdosen», an welche die fallweise notwendigen Spezialisten – z. B. auch der neue Planungs- und Führungsstab Polizei – physisch vor Ort oder elektronisch andocken können.
Die zweite Frage:
«Welche Vorkehrungen trifft die Schweiz, um Kollateralschäden auf ihrem Territorium sowie in den umliegenden Nachbarstaaten (NATO und/oder EU-Mitglieder) zu verhindern?»
Die Schweiz wird zur Kriegsverhinderung und in einem Verteidigungsfall nicht mehr selbständig handeln können und deshalb mit den Nachbarstaaten, der NATO und/oder der EU bereits in Friedenszeiten eine Zusammenarbeit anstreben müssen – absolut fern von jeder Idee, damit eine schleichende engere Assoziation der Schweiz mit der NATO oder der EU zu provozieren. Voraussetzungen für eine solche Zusammenarbeit ist eine vertiefte Planung mit Gremien der NATO und/oder der EU.
Die dritte Frage:
«Welche Anforderungen stellen hybride (uneindeutige) Bedrohungen an die Vorbereitungen zur Verteidigung der Schweiz?»
Bei einer hybriden Bedrohung kann der Einsatz der Armee innerhalb kurzer Zeit von einem subsidiären Einsatz zur Unterstützung der politischen Behörden nahtlos in einen Kampfeinsatz übergehen, denn die Konfliktparteien können in sämtlichen Operationssphären [Cyberraum, Informationsraum, Luft- und Weltraum, Boden (Sonderoperationen)] gleichzeitig, koordiniert, gezielt und dosiert agieren.
Der erwähnte Leitartikel beschreibt den «geo-ideologischen Wettstreit». Bei einem Wettstreit geht es immer um Wertungen. Ausgangspunkt sind persönliche Standpunkte der Wertenden. Die politische Debatte lebt von der Beurteilung von solchen Standpunkten. Wenn dabei die Fähigkeit dazukommt, nüchtern wahrzunehmen, was ist, und nicht von vorneherein einzufordern, was aus eigener Sicht sein soll, kann ein konstruktiver Dialog gelingen.
Für diese Arbeit sind Führungsstärke und Glaubwürdigkeit unerlässlich. Führungsstärke setzt Verantwortungsbewusstsein voraus. Mangelt es an diesen Eigenschaften, können die Personen selber indirekt zu einer Bedrohung werden.
Der Leitartikel von Eric Gujer schliesst mit dem Bild eines Leuchtturms. An die Funktion von Leuchttürmen können klare Anforderungen gestellt werden. So mögen im geo-ideologischen Wettstreit die Vereinigten Staaten von Amerika bezüglich einer liberal verstandenen Weltordnung auch heute noch als Leuchtturm gelten. In Bezug auf Pragmatismus, Ausgewogenheit und Streben nach Konsens einer Gesellschaft existiert ein zweiter Leuchtturm, die Schweiz. Sein Licht symbolisiert Freiheitsbewusstsein, Streben nach Gerechtigkeit, eine Kultur der Ausgewogenheit und einen konsensorientierten Pragmatismus einer Mehrheit der Bevölkerung.
Die Suche nach Kompromissen und Konsens ist ein Markenzeichen der Schweizer Demokratie. Sie ist auch bei der Entwicklung von Strategien zur Antwort auf die Bedrohungen des «Systems Schweiz» unerlässlich. Die Suche nach Kompromissen ist eine ernste Arbeit von Erwachsenen: «Krach scheint immer grossartiger als Versöhnung. Aber Krach ist auch kindisch, und Versöhnung ist die ernste Arbeit von Erwachsenen.» (Peter von Matt). - «Pro Militia» will an der «ernsten Arbeit der Erwachsenen» im ideologischen Wettstreit zur Sicherheitspolitik weiterhin tatkräftig mitarbeiten.
Martin Oberholzer-Riss, Mitglied der Strategiekommission «Pro Militia»
Daniel Urech, Vorsitzender der Strategiekommission «Pro Militia»