22.02.2024

Legen Sie den Schalter um, Frau Amherd: Sie führen in Zeiten der erhöhten Kriegsgefahr das wichtigste Departement

Kommentar von Georg Häsler (© nzz.ch, 21. Februar 2024)

Das Verteidigungsdepartement ist zu stark mit sich selbst beschäftigt: Der neueste Knall bei der Ruag folgt auf das Theater um die Armee-Finanzen. Daraus schlägt die Linke Kapital und dominiert den Diskurs.

Die Welt traf sich in München zur Sicherheitskonferenz, aber die Chefin des Eidgenössischen Verteidigungsdepartements (VBS) blieb in Bern. Bundesrätin Viola Amherd musste am vergangenen Freitag der Finanzkommission des Nationalrats für ein eigentliches Nicht-Ereignis Red und Antwort stehen. Es gibt trotz drei Wochen Skandal-Geschrei kein Finanzloch bei der Schweizer Armee.

Dafür wird die Warnung vor militärischen Fähigkeitslücken zum Kommunikationsproblem erklärt. Das Schauspiel wiederholte sich am Dienstag vor der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) des Nationalrats. Der Chef der Armee entschuldigt sich mit soldatischem Gleichmut für semantische Unschärfen der Problembeschreibung.

Nato-Verbot im Windschatten

Fast zeitgleich schlägt die nächste Push-Nachricht aus dem VBS in den Smartphones ein: Der Verwaltungsratspräsident der Ruag, des bundeseigenen Rüstungsbetriebs, geht – oder wird gegangen. Nicolas Perrin muss summa summarum die Verantwortung für den gescheiterten Handel mit Kampfpanzern des Typs Leopard 1 übernehmen.

Als Nebengeräusch dringen zusätzlich Unruhen im Nachrichtendienst des Bundes nach aussen. Die VBS-Chefin ist einmal mehr vor allem mit ihrem Departement beschäftigt. Der Glanz ihres Präsidialjahrs droht bereits im Februar zu verblassen, aber um das Prestige darf es jetzt nicht gehen: Amherd führt in Zeiten der erhöhten Kriegsgefahr das wichtigste Departement.

Während die VBS-Chefin absorbiert ist, packen die Gegner einer effektiven Landesverteidigung die Chance und dominieren den Diskurs. So gelang es einem SP-Nationalrat und Neo-Sicherheitspolitiker am Dienstag, in der SiK einen Vorstoss durchzubringen, der die Teilnahme der Schweizer Armee an Übungen verhindert, die den Artikel 5, also den Bündnisfall, simulieren. Das sei nicht mit der Neutralität zu vereinbaren.

Erschreckend schwacher Wehrwille

Konsequenterweise musste die SVP, die den neutralen Status der Schweiz zum Programm gemacht hat, dem Ansinnen zustimmen. Es wird der Eindruck erweckt, als wolle die Armee ganze Panzerbataillone zu Trainings nach Polen oder ins Baltikum schicken. Vielmehr ginge es wohl um einzelne Offiziere, die während einer solchen Übung eine Funktion in einem Nato-Stab ausübten.

Kommt der Vorstoss durch, wird es der Armee verboten, ihren Erfahrungshorizont zu erweitern. Es ist zudem fraglich, welche Dringlichkeit eine Kooperation mit der Schweiz für die Nato selbst noch hätte: Eine Links-rechts-Mehrheit markiert vor allem Distanz. Auf diese Schweiz ist kein Verlass. Die Handlungsfreiheit würde weiter eingeschränkt.

Gleichzeitig fehlt das Geld, um die Verteidigungsfähigkeit der Armee rechtzeitig wiederherzustellen. Für die Nachbarn stellt sich die Frage, ob sich die Schweiz überhaupt noch verteidigen will. Der politische Wehrwille und damit die Abschreckung sind erschreckend schwach, obschon die Mehrheit der Bevölkerung zur Armee steht.

Fokus auf das Kerngeschäft

Offensichtlich sind sich die Schweizer Parteien vor allem einig, was sie nicht wollen. Die Summe der Partikularinteressen ist grösser als die Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl – auch unter den bürgerlichen Politikerinnen und Politikern. Deshalb überlassen sie das Momentum regelmässig den Linken.

Die VBS-Chefin muss deshalb den Schalter umlegen und Lösungen vorbereiten: Zuerst geht es um einen mehrheitsfähigen Finanzierungsplan eines rechtzeitigen militärischen Wiederaufbaus, aber dann auch um die Alimentierung von Armee und Zivilschutz, damit im Ernstfall genügend Leute zur Verfügung stehen. Dafür braucht sie eine breite Allianz im Parlament.

Die russische Lava-Offensive, die langsame Verheerung der Ukraine, Kiew im Landkrieg längst in die Defensive gedrängt. Vergangene Woche fiel die ukrainische Stadt Awdijiwka an die russischen Besatzungstruppen. Gewinnt der Kreml, könnte sich der Krieg früher ausweiten als befürchtet. Der Schweiz bleibt also nicht viel Zeit, sich minimal vorzubereiten. Bundesrätin Amherd wäre maximal gefordert: nicht auf Nebenschauplätzen, sondern in ihrem Kerngeschäft.

Quelle: nzz.ch, 21. Februar 2024